Bella Italia

Radeln und relaxen. Trampeln und genießen.

Der norditalienische Himmel ...

 

...tröpfelt noch vor sich hin. In der Nacht zuvor war in Trient/ Trento ein Frühlingsgewitter niedergegangen, und noch während wir uns am Morgen für den nächsten Streckenabschnitt unserer Radtour von Bozen nach Venedig fertigmachten, hatten Regenschauer bei kühlem Wind die Vorfreude ein wenig getrübt. Aber jetzt wird es wieder heller am Himmel. Bald wird die Wolkendecke aufreißen und die Sonne uns durch das Etschtal begleiten. Regencape und Regenjacke können wir alsbald wieder wegpacken: beim Radfahren muss man Muskeln bewegen, da wird es schnell wieder warm - und dann feucht unter der Plastikhülle. Das muss nun wirklich nicht sein.

 

Herrlich ruhig ist es auf diesen Radwegen, obwohl sich der Fluss, eine Autobahn, die Bahn, entzückende Dörfer, Felder und Obstplantagen den wenigen Platz im relativ engen Tal teilen müssen. Wir genießen daher jeden Kilometer; sehen links Berge, sehen rechts Berge, sehen links und grüne Wiesen und blühende Apfelbäume und den Radweg vor unseren Reifen. 

Entschleunigung durch dahingleiten.

Vor vier Tagen sind wir in Berlin aufgebrochen. Die mit Taschen bepackten Räder, hier ein 24-Gang Treckingrad, dort ein Drei-Gang Hollandrad, hatten wir in den Intercity gehievt, in Hannover und Rosenheim waren wir umgestiegen, um dann am ersten Abend in Bozen bei einsetzender Dunkelheit eine erste kleine Irrfahrt zu unternehmen. Das gebuchte Hotel versteckte sich etwas außerhalb am Ende einer Anliegerstraße. Doch gefunden und dann herrlich geschlafen haben wir dann trotzdem.

Am anderen Morgen weckt uns die Sonne, dann Frühstück und ab aufs Rad. Der Weg ins Stadtzentrum von Bozen war dann doch kürzer als am Abend zuvor; bei Tageslicht sieht alles schon positiver aus. Weingärten säumen die ersten Kilometer, es ist noch frisch, jetzt Anfang April. Doch überall leuchten die Frühlingsblüher und sprießt das frische Gras. Wir erfahren die Stadt, schlendern durch die Gassen, genießen hervorragende Käsekrainer und machen uns am nächsten Tag auf nach Trento.


Frühling, Sonne und eine Passhöhe

 

Der Radweg ist bestens ausgeschildert, führt durch das Etschtal bis Verona und ist zumindest zu dieser Jahreszeit noch gar nicht überlaufen. Wir genießen die Ruhe unterwegs. Schon im Zug hatte sich eine gelassene Entspanntheit breit gemacht. Wir lassen uns nicht mehr hetzen, sind selber total relaxt. Der Weg ist das Ziel. Und so geben wir uns dem Radfahren hin. Radeln und Rollen und relaxen. Lediglich die Schmerzen am verlängerten Rücken machen klar, dass auch in diesen Tagen Leistung angesagt ist: Radfahrleistung. Trampeln. Rund 70 Kilometer stehen an jedem zweiten Tag auf dem Programm. In Trient angekommen machen wir unsere eigene Pedalo-Stadtrundfahrt und übernachten in einem großen Apartment direkt in der Innenstadt.

Die einzige Bergetappe unserer Tour steht nun an, da Trento hinter uns liegt. Wir biegen ab aus dem Etschtal und wollen an den Gardasee. Davor jedoch steht ein Hügel, der Passo San Giovanni. 287 Meter verkündet stolz ein Schild am Straßenrand. Ein paar Meter hinter dieser Passhöhe dann ein grandioser Ausblick: der Lago die Garda glitzert in der nachmittäglichen Sonne.

Torbole liegt uns zu Füßen. Es ist warm geworden, überall duften Kräuter und Blumen und Büsche. Wir schwitzen ein wenig, klar, der „Aufstieg“ in praller Sonne fordert seinen Tribut. Aber nicht nur deshalb stehen ein paar Perlen auf der Stirn. Die Straße hinunter an den See ist eine Herausforderung. „Zwölf Prozent Gefälle“ grinst uns das Verkehrsschild an. Doch die Bremsen halten uns auf dem Weg; gut dass wir vor der Abreise die Räder noch in der Werkstatt hatten überprüfen lassen.

Am nächsten Morgen gehts über den Lago di Garda. Ein Genuss, die pitoresken Örtchen links und rechts zu betrachten: Limone, Malcesine, Gargnano, Torri del Benaco, Tosolano Maderno, Salo. Allein die Namen sind schon Musik in italophonen Ohren. So kommen wir in Sirmione an, bestaunen Burg und Altstadt und Touristenmassen, nisten uns für eine Nacht in einem entzückenden B&B am Rande der Stadt ein, rekeln uns am Abend am Ufer und sind ganz verrückt vom Sonnenuntergang über dem See.

Über den See gleiten zu Romeo und Julia

 

Der Lago bleibt uns am nächsten Morgen auch noch eine Weile erhalten, in Sichtweite zum Wasser radeln wir nach Peschiera, unserer ersten Station auf dem Weg nach Verona. Auch hier muss erst ein wenig Sightseeing durch die alten Gassen sein, bevor es weiter geht’s. Blöd nur, dass so ein Fluss zwei Ufer hat, an denen man in die gleiche Richtung fahren kann. Wir erwischen das falsche Ufer, stehen alsbald an der Auffahrt zu einer Autobahn und müssen die Räder am Straßenrand zurück in die Stadt schieben.

 

Der richtige Radweg ist dann doch schnell gefunden und es geht durch herrliche Landschaft eine Weile direkt am Flüsschen Mincio entlang. Hier treffen wir zwei Weltenbummler, eine Japanerin und ein Brite, die mit ihren Rädern aus Japan kommend unterwegs nach England sind. Stramme Leistung denken wir – nicht nur die strammen Waden der beiden geben uns Recht.

 

Nach einem Abstecher hinauf in das auf Hügeln gelegene und für seine Tortellini berühmte Städtchen Salionze rollen wir mit einigen Irrungen und Wirrungen durch die norditalienische Prärie Richtung Verona. Nicht immer sind die Wege eindeutig ausgeschildert, so dass mit falschen Fährten und ständigem Nachfragen die Strecke länger dauert als gedacht.

 

Die Unterkunft ist außerhalb Veronas an einer Landstraße gelegen, doch die Bushaltestelle ist nur ein wenige Meter entfernt. So können wir schon am ersten Abend auf den Spuren von Romeo und Julia wandeln, tauchen ein in die Geschichte der Stadt, ihre Gerüche und Geräusche.

Am nächsten Morgen sind wir dann hurtig wieder unterwegs – zum Markt, durch die Gassen, ins Cafe, über die Brücken, in den Park, zum lauschen und genießen. Ein Fest mit Köstlichkeiten fester und flüssiger Form aus Venetien macht es uns noch leichter, zu verweilen.

 


Kühler Soave, kleine Zweige und stumme Umwege

 

Vicenza steht als nächste Station auf dem Tourplan. Den Fahrtwind im Gesicht und die Sonne in Nacken rollen wir dahin, vorbei an alten Landsitzen und geschichtsträchtigen Villen, an schäbigen Hinterhöfen und verfallenen Häusern, durch Weingärten und Wiesen und Felder. Ein wohlklingender Name taucht aus: Soave. Vor der malerischen Burg lassen wir uns nieder, es ist schon früher Nachmittag, also kann doch auch ein kleines Gläschen Soave nicht schaden. Wir kommen ins Gespräch mit zwei Gästen, wie sich herausstellt: rumänische Fernfahrer, die hier gelandet, aber auch häufig in Deutschland und Resteuropa unterwegs sind. Unterhaltung mit bruchstückhaften Sprachschätzen. Kauderwelsch. Aber nett.

 

Also noch ein Wein, danach sinkt die Lust auf weitere 25 Kilometer Radweg. Gut dass eine Bahnstation in der Nähe ist. Eine gute Entscheidung, denn die Hotelsuche anschließend fordert uns alles ab. 700 Meter vom Bahnhof entfernt sei das Haus, hieß es auf der Internetseite. Doch den steilen Anstieg hatten sie verschwiegen; wir kommen uns vor wie in den Alpen, mit den Rädern bergauf keuchend ist die Adresse nicht zu finden. Den Berg zur Hälfte wieder runter, dann wieder hoch. Muss doch hier sein. Nach mehr als einer Stunde entdecken wir ein kleines Schild in einem Torbogen. Zapperlot. Vollkommen erschöpft sinken wir unter die Dusche, sind danach gleich wieder erholt, erklimmen den Rest des Hügels bis zur auf dem Gipfel gelegenen Kirche und ergattern für unsere weiter Fahrt kleine, zum Palmsonntag gesegnete, Zweige.

 

Bei der Orientierung helfen die Zweige jedoch offensichtlich nicht. Eine kurze Etappe nach Padua ist eigentlich angesagt; das Wetter ist hervorragend, der Radweg über eine alte Bahntrasse ausgezeichnet – so trampeln und rollen wir dahin. Und sind so voller Vorfreude gespannt auf die alte Universitätsstadt, dass wir wohl eine Abzweigung übersehen haben.

 

Eine Stunde und zwanzig Kilometer später, nach Kaffee- und Toilettenstopp, wollen wir uns orientieren und klären, wann wir ankommen. Zu weit gefahren, Mist. Und beide sinnvollen Strecken zum Tagesziel sind in etwa gleich weit. Die Stimmung sinkt, die Gespräche verstummen. Nur noch ankommen ist die Losung. Mit drei Stunden Verspätung und 90 statt 50 Kilometern schaffen wir uns mit letzter Kraft ins Hotel in Padua.

 ...und dann immer am Kanal lang

 

 

Ein zauberhaftes Essen in einer kleinen Osteria und ein spitzenmäßiger Wein tragen dann zur Entspannung und Erheiterung bei. Wir laufen über die Jahrhundertealten Pflastersteine, durch die Arkaden vorbei an der Universität, wo Studentinnen und Studenten draußen sitzend noch am Abend heiß diskutieren. Morgen werden wir diese Stadt ebenfalls erobern.

 

Die 70000 Studentinnen und Studenten der traditionsreichen Universität, seit jeher ein Ort der Liberalität, prägen die Stadt an jeder Ecke. Auf dem Markt vor dem Justizpalast, in den Gassen und den schattigen Laubengängen, auf dem „Prato della Valle“, einem der größten und schönsten Plätze Europas, überall spürt und sieht man das prickelnde Leben. Als Kontrast gibt’s dazu die andere große Institution der Stadt: die Basilika des heiligen Antonius. Leider sind wir nur zwei Nächte in dieser Perle Oberitaliens. Das wird ein Grund sein, wieder zu kommen.

 

Meist schnurgeradeaus führt uns der Radweg am Brenta-Kanal in Richtung Venedig. Nach einigen Abzweigungen stranden wir in Mestre. Eigentlich wollten wir ja siegreich nach 380 Kilometern über den Damm, die „Strada della Libertá“ nach Venezia hineinradeln. Irgendwie finden wir jedoch den Zugang zum Radweg neben Autobahn und Bahngleisen nicht. Wahrscheinlich gibt’s dort eh keinen Radweg. Wir nutzen die Bahn für die kurze Strecke, um gleich darauf vor einem unlösbar scheinenden Problem zu stehen: wohin mit den Rädern?

 

Die per Email erhaltene Info vom Touristbüro erweist sich als Quatsch; im Bahnhof gibt es keine Unterstellmöglichkeiten. Es dauert, bis wir dann endlich in einem Parkhaus zwei der wenigen Rad-Parkplätze ergattern. Gepäck auf die Schultern gehievt, steuern wir das nächste Vaporetto an. Und werden im dichten Gedränge mit gefühlt einer Millionen Touristen auf dem schaukelnden Bott durch den Canale Grande geschippert, um am Ca del Oro wieder ausgespuckt zu werden. Das Hotel begeistert uns schon von außen: ein alter Palazzo, direkt am Canale Grande gelegen, der die Geschichte und Geschichten auszuatmen scheint. Wir sind entzückt über knarrende Holzböden, dicke rote Vorhänge, textile grüne Wandverkleidungen.

 

 


Rundfahrt mit Vaporetto und Liegewagen nach Hause

 

Es ist die Osterwoche. Venedig ist noch voller mit Touristen als schon zu anderen Zeiten des Jahres. Riesige Kreuzfahrschiffe kotzen ein paar Mal in der Woche mehrere tausend Menschen aus, die dann auch noch den Rest der Stadt verstopfen. Wir treten aus dem Hotel, gehen ein paar Meter nach rechts und reihen uns ein in die Prozession der Chinesen und Russen, der Deutschen und Amerikaner Richtung Ponte die Rialto, um am Rande dieses Trampelpfades in einer netten kleinen Bar überteuerten Wein zu trinken. Doch das Flair der Stadt ist einmalig.

Wir geben uns dem Zauber dieser Lagunenstadt hin und schlendern verzückt durch den Abend. Mit einem Tagesticket ist Bootsfahren sogar richtig günstig. Und macht ne Menge Spaß, wenn man die Linien der Vaporettos nach und nach abfährt; natürlich nach Lido, natürlich hinaus nach Murano, von der Piazzale Roma zur Piazza San Marco. Und auch in Gegenrichtung…. Abends durchstreifen wir die weniger überlaufenen Viertel der Stadt und entdecken in schmalen Gassen günstige kleine Restaurants.

 

Wir sind mit der Bahn gekommen, und müssen also auch mit der Bahn zurück; das erste Teilstück endet in München, wo wir in den Nachtzug nach Hannover einsteigen. Wir haben Liegewagenplätze gebucht und wollen uns schlafen legen; das gestaltet sich gar nicht so einfach, wenn man die anderen vier Mitschläfer im Abteil abends um elf nicht mit Krach aus der Koje werfen will.

Irgendwie klappt’s dann doch, wir liegen, wenn auch unbequem und können durchaus für ein paar Stunden die Augen schließen. Früh morgens um fünf allerdings erfreuen wir uns am Fenster auf dem Gang am beginnenden Tag, dem Sonnenaufgang über dem Mittelgebirge irgendwo zwischen Nürnberg und Hannover.

Braun gebrannt, Wetter erprobt, vollkommen relaxt - aber voller Geschichten tauchen wir wieder irgendwann ein in die hektische Stadt. Und können erzählen.